Friedrichshafen, 10. Juni 2015
MINISTERIUM ÜBERGEHT HÄFLER GEMEINDERATSBESCHLUSS:
MIETRECHTLICH UNAUSGEWOGENE VERORDUNGEN DES LANDES SIND POLITISCHE FEIGENBLATTMAßNAHMEN iM LANDTAGSVORWAHLKAMPF OHNE RÜCKSICHT AUF VERHÄLTNISSE VOR ORT.
Die Landesregierung Baden-Württemberg hat am 10. Juni 2015 entgegen dem Votum des Häfler Gemeinderates, der sich am 27.04.2015 gegen solche unausgewogenen Maßnahmen ausgesprochen hatte, angeordnet: Ab dem 1. Juli 2015 werden in Friedrichshafen Mieterhöhungen in bestehenden Mietverhältnissen auf 15 Prozent innerhalb von drei Jahren gedeckelt.
Andernorts dürfen Mieten im selben Zeitraum nach wie vor um
20 Prozent erhöht werden. Zudem gilt in Friedrichshafen wie
in weiteren 44 Städten und Gemeinden des Landes Baden-Württemberg eine Verlängerung der allgemeinen Kündigungs-
sperrfrist bei Umwandlungen von Wohnungen in Eigentums-
wohnungen von drei auf fünf Jahre.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU Ratsfraktion Friedrichshafen, Dr. ACHIM BROTZER, stellte sich den Fragen der Schwäbischen Zeitung/Hagen Schönherr (SZ).
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SZ: Wie beurteilt die CDU-Fraktion im Gemeinderat die Entscheidung (des Ministeriums)?
Antwort: „Wie Friedrichshafen durch Ratsbeschluss vom 27. April 2015 haben auch andere Städte wie etwa die Stadt Fellbach sich gegen ihre Aufnahme in die geplanten Landesverordnungen ausgesprochen. Wenn das Land diese Ablehnungen und Bedenken jeweiliger Ratsmehrheiten vor Ort ganz offenbar völlig unberücksichtigt lässt, drängt sich der Verdacht auf, dass diese so genannten ‚Anhörungen‘ der Städte und Gemeinden allenfalls Feigenblattmaßnahme des Ministeriums gedacht waren. Oder welchen Sinn macht eine Anhörung, deren Ergebnis vom Tisch gewischt wird? Dieses Durchregieren des Landes gegen klare Gemeinderatsvoten vor Ort ist wahrlich keine ‚Politik des Gehörtwerdens‘, sondern besserwisserische Bevormundung von oben herab, die man überheblich nennen kann. Das Land verhängt damit Maßnahmen, die aufgrund der tatsächlichen örtlichen Situation nicht erforderlich und kontraproduktiv sind. Die Datengrundlage, aufgrund derer das Land auch die Stadt Friedrichshafen als eine von landesweit 45 (ursprünglich 46) Gemeinden und Kommunen ausgewählt hat, ist zweifelhaft und durch rein willkürliche Zu- und Abschläge ist die tatsächliche Situation zu einer statistischen Unterversorgung künstlich schlechtgerechnet worden, statt die konkreten Daten und Verhältnisse vor Ort zu erheben und zu klären. Deswegen hat das Ministerium sich mit den Argumenten der Ratsmehrheit vor Ort ganz offenbar nicht ansatzweise ernsthaft auseinandergesetzt, sonst hätte es für Friedrichshafen anders entschieden. Diese guten Argumente der Mehrheit des Gemeinderats sind und waren: Friedrichshafen hat zwar zu wenig günstige und Sozialwohnungen. Friedrichshafen hat selbst ein den Wohnungsmarkt entlastendes Maßnahmenpaket von sich aus auf den Weg gebracht, um das Ziel zu erreichen, vor allem auch Geringverdienern mehr bezahlbaren Wohnraum zu verschaffen. Die jetzige Bevormundung des Landes hingegen schafft keine einzige zusätzliche Sozialwohnung. Die Maßnahmen des Landes nützen insbesondere den bedürftigen Mietern nichts. Die staatlichen Verordnungen sind im Gegenteil geeignet, dringend benötigte Investitionen gerade auch des Privatsektors in den Wohnungsmarkt Friedrichshafen abzuwürgen und den Wohnungsmarkt weiter zu verengen. Die Maßnahme trifft vor allem die privaten Kleinvermieter in Friedrichshafen, die einen wesentlichen Anteil der hiesigen Mietwohnungen stellen. Sie werden von der Landesregierung dafür bestraft, dass sie eventuell über Jahre auf Mieterhöhungen verzichtet haben."
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SZ: Wie werden Sie bzw. die Fraktion auf die Entscheidung reagieren?
Antwort: „Die heutige Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums über die Liste derjenigen Städte, welche das Land offenbar ab 01. Juli in die geplante Rechtsverordnung aufnehmen will, ersetzt nicht die gebotene ausführliche Begründung insbesondere in den Fällen, in denen Städte und Gemeinden im Rahmen der ministeriellen Anhörung diesen Maßnahmen für ihre Gemarkung jeweils widersprochen haben. Falls das Ministerium sich noch die Mühe macht, seine Ablehnung des Gemeinderatsvotums der Stadt Friedrichshafen vom 27.04.2015 näher zu begründen, werden wir uns dessen Ausführungen natürlich genau ansehen, sobald der Stadt Friedrichshafen nicht nur eine Pressemitteilung, sondern auch ein aussagekräftiger ‚Bescheid‘ vorliegt. Nachdem das Ministerium sich mit den Argumenten der Gemeinderatsmehrheit aber nicht wirklich befasst und vertieft auseinandergesetzt hat, glauben wir nicht, dass die Entscheidung des Landes etwas an den Sachargumenten der Gemeinderatsbeschlusses vom 27.04.2015 und unserer politischen Überzeugung ändert.“
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SZ: Im Schreiben (Pressemitteilung) heißt es, man habe die „Regelungen geprüft und modifiziert“. Ist Ihnen bekannt in welchem Umfang dies geschehen ist? Wie stehen Sie zu diesen Veränderungen?
Antwort: „Diese Aussagen in der Pressemitteilung sind vieldeutig, ihr Sinn bleibt einstweilen verborgen und ein Geheimnis. Sobald das Ministerium sich klarer ausdrücken kann, müssten auch wir nicht weiter rätseln. Vorher lässt sich das nicht seriös kommentieren.“
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SZ: Es heißt, eine der ursprünglich 45 Städte sei aus der Gebietskulisse entfernt worden. Das dürfte Neuenburg am Rhein sein. Wissen Sie, warum dort der Protest gegen die Verordnungen Erfolg hatte?
Antwort: „Da die Pressemitteilung des Landes druckfrisch ist und das Land sich hierzu ausschweigt, fehlen uns dazu ebenso wie Ihnen leider jegliche Informationen. Soweit wir wissen, hatte auch der Gemeinderat in Neuenburg am Rhein der geplanten Einbeziehung der Stadt Neuenburg in die Landesverordnungen im Rahmen der ministeriellen Anhörung widersprochen. Dem Vernehmen nach geschah der Widerspruch mit den gleichen Argumenten, die auch der Gemeinderat der Stadt Friedrichshafen in seinem Beschluss vom 27.04.2015 vorgebracht hat. Auch in Neuenburg hatte der Gemeinderat bemängelt, dass die Datengrundlage des Ministeriums fragwürdig sei und das Land die tatsächliche Situation vor Ort rein willkürlich zu einer statistischen Unterversorgung schlechtgerechnet habe. Wieso das Land dann nur Neuenburg und nicht auch Friedrichshafen und Fellbach von den Verordnungen ausgenommen hat, bleibt einstweilen das Geheimnis des Ministeriums.“
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SZ: Wie wird sich die CDU im Gemeinderat positionieren, wenn die Entscheidung zur Mietpreisbremse ansteht?
Antwort: „Die geplante Verordnung und ministerielle Anhörung zur ‚Mietpreisbremse‘ für Neuvermietungen ist von der aktuell beabsichtigten ‚Kappungsgrenzen- und Kündigungssperrfristverordnung‘ zu unterscheiden. Einen die Mietpreisbremse befürwortenden Antrag der Stadtverwaltung hat der Gemeinderat am 27.04.23015 ebenfalls bereits abgelehnt, und zwar mit dem Argument, dass das Land die Stadt Friedrichshafen danach gar nicht gefragt hatte. Zwischenzeitlich führt das Land auch dazu eine Anhörung durch und die Stadt Friedrichshafen muss sich dazu bis 04. August 2015 äußern. Unsere Argumente der Ablehnung auch dieser undifferenzierten Pauschalmaßnahme der Mietpreisbremse waren Gegenstand bereits unseres Antrags vom 27.04.2015.
Diese Argumente lauteten und lauten auch weiter:
Solche Maßnahmen des Landes ohne gesicherte Daten und Fakten vor Ort sind politische Feigenblattmaßnahmen im Landtagsvorwahlkampf und sachlich kontraproduktiv. Die nicht durch Fakten geschweige denn belastbare Daten gestützte Annahme, die Vermieter in Friedrichshafen würden bei Neuvermietungen, deren Anzahl noch nicht einmal feststeht, stets 'das Maximum ausreizen', stellt derzeit keine gesicherte Tatsache, sondern eine Vermutung dar. Die Zustimmung laut Verwaltungsvorschlag entspräche einer vorschnellen Beurteilung bei Neuvermietungen ohne hinreichend aussagekräftiges Zahlenmaterial. Gesicherte Daten und Zahlen zu Neuvermietungen liegen der Stadt Friedrichshafen derzeit nicht vor. Erst Umfragen und gebotene seriöse Erhebungen anlässlich des künftigen nach wissenschaftlichen Methoden aufzustellenden qualifizierten Mietspiegels können eine hinreichende Datenbasis überhaupt erst ergeben. Maßnahmen auf dem Wohnungsmarkt müssen mit Augenmaß und dürfen nicht überstürzt umgesetzt werden. Unkoordinierte Pauschalmaßnahmen für das ganze Stadtgebiet können sowohl den Mietern wie auch der Investitionsbereitschaft der Vermieterseite schaden. Unterschiedslos restriktive Preisbildungseingriffe über alle Stadtgebiete und Stadtteile und die Wohnlage hinweg wären unangemessen und völlig unverhältnismäßig, da sie die Wohnlage außer Acht lassen. So hat etwa die Kernstadt von Friedrichshafen im aktuellen Mietspiegel in der Kategorie 6 (Wohnlage) einen Zuschlag von 7 %, städtische Randlagen wie Allmannsweiler einen Abschlag von 5 %, die Teilorte Raderach und Ettenkirch gar einen Abschlag von 16 %. Die Unterschiede bei den Mieten in den Stadtteilen dürfte sich in Zukunft sogar stabilisieren (Wohnungsbericht 2013, Seite 33). Die Stadt und das Land müssen daher einzelne Stadtteile unterschiedlich betrachten. Statt überstürzt unkoordinierte Maßnahmen des Wirtschaftsministeriums zu befürworten, gilt es seriös zu prüfen, erforderliche aktualisierte Daten zu erheben und hernach in Ruhe und Besonnenheit vom Gemeinderat dieser Stadt zu entscheiden, ob und ggf. welche Maßnahmen überhaupt geboten sind.“
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